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Die wahrscheinlich älteste Kulturtechnik der Welt
Schneiteln heißt: Äste oder dünnere Stämme regelmäßig abschneiden, damit der Baum neue treibt. Klingt banal – ist aber genial. Denn der Baum reagiert mit einem kräftigen, gleichmäßigen Neuaustrieb. Jedes Jahr entstehen so Ruten, Zweige und Stämmchen in nahezu identischer Stärke – das perfekte Material für alles, was Menschen seit jeher brauchen: biegsam, stabil, handlich.
Wahrscheinlich entdeckte man diesen Effekt schon lange vor der Sesshaftwerdung. Wer über Jahre an denselben Lagerplätzen lebte, bemerkte: Die gebrochenen Hasel oder Weiden des letzten Winters trieben wieder aus – dichter und gleichförmiger. Irgendwann begann man, gezielt zu schneiden. So entstand die erste bewusste Nutzung der Regenerationskraft von Gehölzen – und eine der ältesten Kulturtechniken der Welt.
Mit der Sesshaftwerdung wurde das Schneiteln kulturtragend. Jetzt brauchte man viel gleichmäßiges Holz: für Hauswände, Zäune, Körbe, Werkzeuge und Brennmaterial. Schon im 5. Jahrtausend v. Chr. nutzte man geschneiteltes Holz zur Holzkohleherstellung für Keramiköfen. Gleichzeitig wanderten die Kappstellen nach oben, damit das Vieh nicht an die frischen Blätter kam – der klassische Kopfbaum entstand. Vor der modernen Weidewirtschaft, die erst im 18. Jahrhundert aus der Abschaffung der Holzrechte hervorging, waren Laubblätter das wichtigste Viehfutter. Ganze Wälder aus Kopfbäumen dienten der Futter- und Holzgewinnung.
In der Bronzezeit stieg der Bedarf an Holzkohle rasant. Köhler verlangten nach immer größeren Mengen gleichförmigen Holzes, um den wachsenden Bedarf der Bronze-, Stahl- und Keramikherstellung zu decken. Von Anfang an war das Hackmesser das Werkzeug der Wahl – zunächst aus Feuerstein, später aus Metall. Halb Beil, halb Sichel, wurde es zum ersten Spezialwerkzeug der Bronzezeit. Man fand bronzene Exemplare in Gräbern – als Zeichen des Handwerks, vielleicht sogar der gesellschaftlichen Stellung.
In Europa wurden Hasel, Eichen, Eschen, Weiden und viele andere Baumarten geschneitelt. Und auch auf anderen Kontinenten entwickelte sich diese Technik. Japanische Handwerker perfektionierten sie im 14. Jahrhundert mit der Daisugi-Methode: Auf breit geschnittenen Sicheltannen wuchsen neue, gerade Stämme – „Bäume auf Bäumen“. Sie lieferten das perfekte Holz für den Tempel- und Teehausbau.
Der langsame Abstieg der Schneitelwirtschaft erzählt später von Unterdrückung, Kriegen, Globalisierung, Verleumdung und fossilen Brennstoffen. Doch ihr Prinzip bleibt: Ernten, ohne zu zerstören. Das Schneiteln war eine der frühesten Formen nachhaltiger Nutzung – und die letzten Spuren dieser einst umfassenden Wirtschaftsform sind heute die Hotspots der Biodiversität.
Treeculture möchte dieses uralte Prinzip neu interpretieren – als moderne Form einer Nutzung, die Stadt, Klima und Kultur wieder miteinander verbindet.